Ich aber schlafe allein by Helga Hegewisch

Ich aber schlafe allein by Helga Hegewisch

Autor:Helga Hegewisch
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
ISBN: 9783955302801
Herausgeber: Edel Germany GmbH
veröffentlicht: 2013-10-27T23:00:00+00:00


Siebtes Kapitel

Das Abendessen dauerte sehr lange. Man bewegte sich in einem festen Ritual hin und her, zwischen Terrasse – Cocktails, verdauungsfördernder Kräuterschnaps als Einlage, Kaffee und Cognac – und dem Speisezimmer, wo Phädra im trägen Verlauf von drei Stunden fünf schwere Gänge servierte. Dorothea hatte wunschgemäß den weiten bunten Rock, den sie frisch gebügelt und sogar gestärkt auf ihrem Bett vorgefunden hatte, angezogen. Sie hatte sich die Haare mit dem gestickten Kopftuch zurückgebunden und sogar eine Oleanderblüte unter dem Tuchrand befestigt.

Außer dem Richter war nur noch ein weiterer Gast geladen, ein deutscher Musiker namens Leo, den Nachnamen hatte Dorothea nicht verstanden. Der Richter benahm sich weniger mürrisch und patriarchenhaft, als Dorothea befürchtet hatte, ja, er verstand sich sogar auf ein gescheites, witziges Geplauder, und er belästigte Dorothea keineswegs mit irgendeiner persönlichen Bemerkung. Er sah jünger aus als bei ihrer Ankunft auf dem Flugplatz von Mytilini und erinnerte sie wieder sehr an Charaxos mit der fliegenden Pelerine.

Wenn die von der Hausfrau so sorgsam erstellte und fest umrissene harmonische Gastmahlatmosphäre dennoch gelegentlich etwas außer Kontrolle geriet, so lag dies keineswegs am Benehmen des Richters, sondern an dem Leos, und Dorothea fragte sich erstaunt, was Eleni ausgerechnet mit seiner Anwesenheit hatte bezwecken wollen. Denn darüber, daß bei Elenis Organisation des Abends kein einziges Detail zweckfrei war, bestand für Dorothea kein Zweifel.

Leo, dessen Sommerhaus, wie Eleni erwähnte, keine hundert Meter entfernt von dem ihren lag, schien dem Richter nicht oder kaum bekannt zu sein. Leo war ein äußerst nervös wirkender Mann um die sechzig, mager bis auf einen rund vorstehenden Bauch, groß, schmalschultrig und dünnhalsig. Er sprach recht gut Griechisch, wich jedoch gelegentlich, wenn ihm ein Wort fehlte, übergangslos ins Deutsche aus. Die meiste Zeit schwieg er und löffelte mit hektischer Geschwindigkeit große Mengen Nahrung in sich hinein. Dann hob er plötzlich den Kopf, fixierte die drei anderen Anwesenden so lange mit herausforderndem Blick, bis diese ihre Unterhaltung abbrachen und sich ihm zuwandten. Wenn Stille eingetreten war, schnappte er mit breitem Fischmund kurz nach Luft und stieß in rascher Folge eine Anzahl von Worten aus, die sich erstaunlicherweise zu einem klaren, logischen Satz zusammenfanden und sich akkurat, wenn auch kontrapunktisch einfügten in das, was die andern zuvor gesagt hatten. Dies war um so irritierender, als er in seinem Schweigen keineswegs den Eindruck des Zuhörens gemacht hatte. Wollte dann jedoch der so Angesprochene und Herausgeforderte – es handelte sich fast immer um den Richter – auf die Bemerkung eingehen, schüttelte Leo nur seinen knochigen Kopf und beugte sich wieder über das Essen. Der Richter war inzwischen dazu übergegangen, den Deutschen weitmöglichst zu ignorieren. Das gelang ihm im Laufe des Abends immer besser, und beim Nachtisch hatte er sich soweit im Griff, daß er Leos Bemerkungen, die nicht nur klar und sachlich, sondern auch sehr aggressiv waren, überging und abtat, als handele es sich um Geschirrklappern oder höchstens um eine etwas zu laut geratene Tischmusik.

Dorothea, die sich entgegen ihrer Überzeugung, daß stets dem Schwächeren ihre Sympathie gehören müsse, leicht durch unbeeindruckbare Stärke korrumpieren ließ, lächelte mehrmals dem Richter anerkennend zu.



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